Donnerstag, 27. September 2012

Warum 'Prison Architect' existieren muss

Seit gestern ist es möglich 'Prison Architect' von Introversion Software  vorzubestellen . Man bekommt dadurch nicht nur Zugang zur Alpha-Version des Spiels, die Entwickler haben zudem eine Reihe von zusätzlichen Bezahlstufen mit unterschiedlichen, zusätzlichen Belohnungen eingebaut (vergleichbar mit Kickstarter Belohnungen). Ich muss sagen, selten habe ich so kurz nachgedacht ob ich 50$ für ein virtuelles Produkt ausgebe. Zunächst tat ich dies, weil ich vor einigen Monaten einen längeren Vortrag, (zu sehen hier und übrigens sehr empfehlenswert) von den zwei Personen die Introversion ausmachen, gesehen habe, und ich einfach deren Vision und Ideen unterstützen möchte. Doch nachdem ich im Internet ein bisschen herum gelesen habe und mir aufgefallen ist, wie häufig in Kommentaren Unbehagen über das Thema von Prison Architect ausgedrückt wurde, desto mehr kam in mir noch ein weiterer, wesentlich stärkerer Gedanke auf, warum dieses Spiel gemacht werden muss.


Zunächst jedoch, was ist Prison Architect eigentlich für ein Spiel?
Die Entwickler bezeichnen Prison Architect als eine Mischung aus Dungeon Keeper, Theme Hospital und Dwarf Fortress. Man ist im Grunde genommen das, was im Titel steht. Man entwirft und verwaltet ein Hochsicherheitsgefängnis. Momentan sind zwei Modi geplant, eine Kampagne mit diversen Szenarien und ein Endlos-Modus in dem, ähnlich wie in Dwarf Fortress, man auf kurz oder lang scheitert (das ist zumindest der Plan im Moment).
Die Bedenken die nun geäußert wurden, drehen sich häufig darum, das die Tätigkeit ein Hochsicherheitsgefängnis zu verwalten, vor allem im Hintergrund bestimmter Aspekte die im US-Justizsystem existieren, etwas geschmacklos sein könnten. Schließlich sei dies ja ein ernsthaftes Thema und dies in einem Spiel (was ja 'Spaß' machen soll) zu behandeln sei ja nicht in Ordnung.

Die Entwickler selbst gehen sehr offen mit dieser Problematik um und versuchen diese auch zu behandeln, doch trotzdem gibt es nicht wenige Leute die immer noch Unbehagen über dieses Thema ausdrücken und die sich wünschen, Introversion würde seine Talente doch lieber für ein anderes, weniger unbehagliches Thema verwenden.

Stellen wir uns an dieser Stelle mal vor Introversion software würde 'Introversion Films' heißen und sie hätten vor einen Film zu drehen, der versucht eine möglichst realitätsnahe darstellung der Verhältnisse in modernen Hochsicherheitsgefängnissen zu präsentieren. Würden an dieser Stelle Menschen sagen, dass dieses Thema zu brisant für einen Film sei? Vermutlich schon, ein paar verklemmte Idioten gibt es überall, aber mit Sicherheit bei weitem nicht so viele wie bei Prison Architect. Warum? Weil Filme ein etabliertes Medium sind und es bereits eine große Anzahl an Werken gibt, die zeigen, dass Filme durchaus in der Lage sind mit ernsthaften Themen umzugehen. Wie sieht das ganze bei Computerspielen aus?

Fällt irgendwem ein halbwegs bekanntes Spiel ein, dass versucht ernsthaft und unprätentiös ein unbequemes Thema zu beleuchten?

Mir persönlich fällt dazu eigentlich nur Cannon Fodder ein (wer wissen will warum: Dieser Text beschreibt es eigentlich am besten), welches versucht hat eine satirische Darstellung von Krieg und Gewalt zu präsentieren. 'Spec Ops: The Line' ist anscheinend auch ein solcher Titel, allerdings kann ich nicht wirklich viel zu diesem Spiel sagen, weil ich es selber nicht gespielt habe. Ansonsten herrscht bei mir gähnende Leere was das angeht (wer weitere Titel kennt, bitte Bescheid sagen, mich würde echt mal interessieren was es sonst so gibt).

Computerspiele werden in aller Regel als simples Unterhaltungsmedium angesehen, vermutlich auch, weil bislang kaum ein Studio ernsthaft versucht hat, etwas an diesem Problem zu ändern. Es steckt ja auch schon in der Terminologie drin: Wir sprechen von Computer 'Spielen' welche nach ihrem 'Spielspaß' bewertet werden. Begriffe bei denen es schwer wird, wenn man versucht ein ernsthaftes Thema zu behandeln.
Die Terminologie mit der wir Computerspiele betiteln limitiert gleichzeitig unsere Wahrnehmung darüber was Computerspiele eigentlich sind und was sie tatsächlich leisten können.

Neutral betrachtet sind Computerspiele nichts anderes als interaktive Systeme. Es gibt bestimmte Regeln in denen man sich bewegen muss und das Programm reagiert auf den Input des Benutzers. Klar, man kann dieses System dafür nutzen um anderen Menschen eine schöne Zeit zu bereiten. Aber das heißt noch lange nicht, dass man es auch nicht für etwas anderes benutzen kann.

Der Endlos-Modus von Prison Architect funktioniert momentan folgendermaßen. Man hat eine begrenzte Fläche auf der man sein Gefängnis bauen kann, was bedeutet, dass man eigentlich nur eine begrenzte Anzahl an Gefangenen vernünftig betreuen kann. Allerdings kommen jeden Tag 20 neue Insassen im Gefängnis an, was bedeutet das dem begrenzten Raum im Gefängnis, eine unbegrenzte Anzahl an Insassen gegenübersteht. Dies führt unwiderruflich früher oder später zum Zusammenbruch des Gefängnisses.
Der 'Spieler' wird hier also mit einem Dilemma konfrontiert das er lösen muss. Das Spiel ist bei weitem noch nicht fertig, weshalb vieles was nun kommt spekulativ ist, doch lasst uns doch mal ein bisschen rumspinnen, was alles möglich wäre um dieses Dilemma zu lösen.

Man kann versuchen das unausweichliche herauszuzögern indem man ein extrem restriktives System aufzieht. Gefangene werden scharf kontrolliert und voneinander isoliert um eventuelle Aufstände möglichst schon gar nicht erst entstehen zu lassen.
Auf der anderen Seite könnte man natürlich auch versuchen ein System zu schaffen in dem versucht wird jeden Tag mindestens 20 Insassen zu rehabilitieren, um zu vermeiden, dass das Gefängnis aus allen Nähten platzt.

Das interessante an diesem fiktiven Szenario ist, dass es dem 'Spieler' freie Hand lässt wie er dieses Problem löst.
Wir haben es hier nicht mit einem 'Spiel' im eigentlichen Sinne zu tun, sondern eher mit einer Art von sozialem Experiment.

Die größte Stärke von Computerspielen als Medium ist ihre Interaktivität.
Was würde mehr Eindruck bei einer Person hinterlassen, ein Film der sehr bildhaft die Misstände und die moralischen Verwerfungen moderner Hochsicherheitsgefängnisse darstellt, oder wenn diese Person unbeabsichtigt ein solches System selbst errichtet, weil es versucht mit dem gleichen Problem umzugehen?
Filme geben einem immer die Möglichkeit zu sagen 'Ich würde so etwas schlimmes niemals tun!', wenn in Wahrheit die meisten Menschen sehr wohl die gleichen schlimmen Dinge tun würden, wenn sie in der gleichen Situation wären. So Bildhaft Filme auch sind, sie zeigen doch immer nur die Erfahrungen anderer Menschen.
Spiele hingegen sind in der Lage diese Erfahrungen bei einem selbst zu erzeugen und können dadurch viel eindrucksvoller zeigen wie dünn die Grenze zwischen unseren hohen moralischen Prinzipien und den tiefsten Abgründen unserer Seele tatsächlich sind.

Prison Architect ist noch lange nicht fertig, die Entwickler selbst haben gesagt, dass sie sich noch nicht sicher sind, wie und in welchem Umfang sie tatsächlich diese Probleme beleuchten möchten. Und selbst wenn sie es tun, es ist immer noch die Wahrscheinlichkeit vorhanden, dass sie scheitern. Doch ich persönlich denke, dass es dieses Risiko wert ist. Wenn Computerspiele tatsächlich als seriöses Medium betrachtet werden möchten, so dürfen sie keine Angst vor unbequemen Themen haben und müssen riskieren dass einige Menschen sich unwohl fühlen.
Ich für meinen Teil werde die Entwicklung von Prison Architect sehr aufmerksam verfolgen und hoffe, dass es so unbequem wie nur irgend möglich wird.