Mittwoch, 13. Februar 2013

Das MOKKOGRAD Manifest: Wann ist ein Spiel ein Spiel?


Es ist schön, aber ist es auch ein Spiel? Proteus

Ist es ein Spiel?

Eine Frage die man in den letzten zwei Jahren immer häufiger zu hören bekommen hat.
Titel wie Dear Esther, Thirty Flights of Loving oder, als jüngstes Beispiel, Proteus scheinen an der Grenze dessen zu liegen, was man gemeinhin als 'Computerspiel' bezeichnet. Jedes Mal, wenn im Internet über einen dieser Titel berichtet wird, taucht irgendwann jemand auf, der in großen Worten lang und breit erklärt, dass wir es bei dem angesprochenen Werk ja eigentlich gar nicht mit einem Spiel zu tun hätten, sondern eher mit einem 'Interaktivem Erlebnis', was auch immer das sein mag. Aus diesem Kommentar ergießt sich dann ein ganzer Schwall an Antworten und schon steckt man in einer Debatte bei der am Ende niemand eigentlich wusste, wie man da hinein geraten ist.

Ich möchte hier den Versuch unternehmen diese ganze Debatte mal etwas zu entwirren, denn ich denke sie ist, wie eigentlich fast jede Debatte im Internet, eigentlich eine Debatte die man nicht führen muss.



Also, was ist ein Spiel?

Man könnte an dieser Stelle furchtbar weit ausholen, über Etymologie und Sprachphilosophie reden, irgendwelche Definitionen von irgendwelchen Pseudointellektuellen rauskramen, die meinen man könnte Kreatives arbeiten an einer Universität lehren, Statements vergleichen und am Ende zu irgendeiner, willkürlichen Ordnung kommen. Dem ganzen könnte man dann noch irgendeinen abgefahrenen Namen geben z.B. 'Ludopsychografisches Rhombusdiagramm' und müsste danach nur hoffen, dass der Stuhl auf dem man sitzt nicht unter dem Gewicht des eigenen Egos zusammenklappt.
Man könnte es aber auch lassen.

Spiele sind zunächst (zumindest meiner Meinung nach) der Inbegriff von Kreativität, jedes Spiel hat etwas Fiktionales an sich, sei es nun in der der Ausgestaltung (Regeln etc.) oder in dem was man tut. Spiele sind stets von uns gemacht, es gibt keine 'natürlichen' Spiele. Wir nutzen Spiele um uns eigene Welten zu kreieren in denen wir über die Regeln und Gesetze zu bestimmen. In der 'Realität', das heißt in der echten, materiellen Welt aus der wir kommen und in der wir leben, haben wir keine Kontrolle über die Regeln. Wir wurden einfach in sie hineingeworfen, ohne dass uns irgendjemand Bescheid gesagt hat. Unwissend und hilflos sind wir in dieser Welt. Doch in unseren erfundenen Welten können wir alles. Du ärgerst dich über die Schwerkraft? Erfinde eine Welt in der du fliegen kannst.



Interessanterweise ist die Wissenschaft auch ein Spiel. Mit ihr versuchen wir, mithilfe unseres grenzenlosen Vorstellungsvermögens und einem Satz an vorher definierten Regeln, herauszufinden, wie die Wirklichkeit funktioniert.
Doch die Wirklichkeit entzieht sich uns und was wir stattdessen entwerfen ist ein 'Realitätsspiel' in dem wir die Realität abbilden und der wir meinen, sie beeinflussen zu können. Doch gehen diese Machtfantasien niemals vollständig auf. Immer wieder meldet sich die Wirklichkeit zurück und erinnert uns, oftmals mit katastrophalen Auswirkungen, daran, dass sie sich nicht kontrollieren lässt.
Und was tun wir? Wir errichten immer höhere Mauern, engen die Regeln des Realitätsspiels immer mehr ein. Denn eigentlich fürchten wir die Wirklichkeit, weil wir sie nicht verstehen, weil sie sich uns konsequent widersetzt und weil wir tief in unserem innersten wissen, dass wir ihr nicht gewachsen sind. Wir können den Gedanken an die Insignifikanz unserer Existenz nicht ertragen. Daher bauen wir Scheinwelten in denen wir am wichtigsten sind und in dem unsere Existenz über Wohl und Wehe der gesamten Wirklichkeit bestimmt.




Was hat das mit Computerspielen zu tun? Nun, Computerspiele sind Teil dieses Systems. In der Tat versetzt uns kein anderes 'Spiel' besser in die Lage eigene Welten zu bauen. Welten, in denen wir wichtig sind. In denen wir die Kontrolle haben. In denen wir bestimmen was passiert. In der wir im Mittelpunkt stehen und unsere Existenz einen klar definierten Zweck hat.
Entziehe ich auch nur eines dieser Elemente dem Spieler und er wird unsicher. Er beginnt Fragen zu stellen:
Was muss ich tun? Warum bin ich hier? Was soll das alles? Er beginnt am Sinn seiner virtuellen Existenz zu zweifeln. Er fühlt sich verwundbar, er fühlt sich an die Realität erinnert, denn er muss sich mit Dingen auseinandersetzen, die er nicht direkt kontrollieren kann.
'Das ist kein Spiel!' ist seine Verteidigung für diese Erlebnisse. Es ist sein Versuch wieder Kontrolle über das Unbekannte zu gewinnen, indem er Regeln definiert und seine virtuelle Realität auf ein Maß an kontrollierbaren und bekannten Parametern reduziert. Er beginnt ein virtuelles Realitätsspiel.
Der Versuch Computerspiele in ein willkürliches Ordnungssystem zu pressen und Regeln und Definitionen zu liefern, was denn nun ein 'Spiel' sei und was nicht, ist selbst ein Spiel. Es wird eine Welt entworfen in der nur bestimmte Objekte existieren dürfen und in denen nur diese Objekte relevant sind. Doch ist es ein Spiel was, anders als in der Wissenschaft, uns nicht dabei hilft in einer Welt zurecht zu kommen die sich uns unserem direkten Verständnis entzieht. Es ist ein Spiel was unseren eigenen Verstand einengt und was unsere eigene Kreativität behindert.




Es ist jedoch vor allen Dingen vollkommen sinnlos. Denn so wie die Realität immer wieder uns vor Augen führt, dass es sich einen Dreck um unsere definierten Regeln schert, so lässt sich auch unsere Kreativität nicht einzäunen und definieren.
Wir haben mit Computerspielen die Möglichkeit, quasi materielle Abbildungen von Welten zu entwerfen, die sonst nur in unseren Köpfen existieren. Wir sollten diese Möglichkeiten nicht einschränken in dem wir versuchen sie irgendwie zu ordnen.
Proteus ist ein Spiel. Thirty Flights of Loving ist ein Spiel (auch wenn ich es nicht verstanden habe), Dear Esther ist ein Spiel. Die Diskussion was ein Spiel ist ein Spiel, Wissenschaft ist auch ein Spiel. Es wäre mal an der Zeit sie auch wie solche zu behandeln.