Eine Frage die man in den letzten zwei Jahren immer häufiger zu hören bekommen hat.
Titel wie Dear Esther, Thirty Flights of Loving oder, als jüngstes
Beispiel, Proteus scheinen an der Grenze dessen zu liegen, was man gemeinhin
als 'Computerspiel' bezeichnet. Jedes Mal, wenn im Internet über einen dieser
Titel berichtet wird, taucht irgendwann jemand auf, der in großen Worten lang
und breit erklärt, dass wir es bei dem angesprochenen Werk ja eigentlich gar
nicht mit einem Spiel zu tun hätten, sondern eher mit einem 'Interaktivem
Erlebnis', was auch immer das sein mag. Aus diesem Kommentar ergießt sich dann
ein ganzer Schwall an Antworten und schon steckt man in einer Debatte bei der
am Ende niemand eigentlich wusste, wie man da hinein geraten ist.
Ich möchte hier den Versuch unternehmen diese ganze Debatte
mal etwas zu entwirren, denn ich denke sie ist, wie eigentlich fast jede
Debatte im Internet, eigentlich eine Debatte die man nicht führen muss.
Man könnte an dieser Stelle furchtbar weit ausholen, über Etymologie
und Sprachphilosophie reden, irgendwelche Definitionen von irgendwelchen
Pseudointellektuellen rauskramen, die meinen man könnte Kreatives arbeiten an
einer Universität lehren, Statements vergleichen und am Ende zu irgendeiner, willkürlichen Ordnung kommen. Dem ganzen könnte man dann noch irgendeinen
abgefahrenen Namen geben z.B. 'Ludopsychografisches Rhombusdiagramm' und müsste
danach nur hoffen, dass der Stuhl auf dem man sitzt nicht unter dem Gewicht des
eigenen Egos zusammenklappt.
Man könnte es aber auch lassen.
Spiele sind zunächst (zumindest meiner Meinung nach) der
Inbegriff von Kreativität, jedes Spiel hat etwas Fiktionales an sich, sei es
nun in der der Ausgestaltung (Regeln etc.) oder in dem was man tut. Spiele sind
stets von uns gemacht, es gibt keine 'natürlichen' Spiele. Wir nutzen Spiele um
uns eigene Welten zu kreieren in denen wir über die Regeln und Gesetze zu
bestimmen. In der 'Realität', das heißt in der echten, materiellen Welt aus der
wir kommen und in der wir leben, haben wir keine Kontrolle über die Regeln. Wir
wurden einfach in sie hineingeworfen, ohne dass uns irgendjemand Bescheid
gesagt hat. Unwissend und hilflos sind wir in dieser Welt. Doch in unseren
erfundenen Welten können wir alles. Du ärgerst dich über die Schwerkraft?
Erfinde eine Welt in der du fliegen kannst.
Interessanterweise ist die Wissenschaft auch ein Spiel. Mit
ihr versuchen wir, mithilfe unseres grenzenlosen Vorstellungsvermögens und
einem Satz an vorher definierten Regeln, herauszufinden, wie die Wirklichkeit
funktioniert.
Doch die Wirklichkeit entzieht sich uns und was wir
stattdessen entwerfen ist ein 'Realitätsspiel' in dem wir die Realität abbilden
und der wir meinen, sie beeinflussen zu können. Doch gehen diese Machtfantasien
niemals vollständig auf. Immer wieder meldet sich die Wirklichkeit zurück und
erinnert uns, oftmals mit katastrophalen Auswirkungen, daran, dass sie sich
nicht kontrollieren lässt.
Und was tun wir? Wir errichten immer höhere Mauern, engen
die Regeln des Realitätsspiels immer mehr ein. Denn eigentlich fürchten wir die
Wirklichkeit, weil wir sie nicht verstehen, weil sie sich uns konsequent
widersetzt und weil wir tief in unserem innersten wissen, dass wir ihr nicht
gewachsen sind. Wir können den Gedanken an die Insignifikanz unserer Existenz
nicht ertragen. Daher bauen wir Scheinwelten in denen wir am wichtigsten sind
und in dem unsere Existenz über Wohl und Wehe der gesamten Wirklichkeit
bestimmt.
Was hat das mit Computerspielen zu tun? Nun, Computerspiele
sind Teil dieses Systems. In der Tat versetzt uns kein anderes 'Spiel' besser
in die Lage eigene Welten zu bauen. Welten, in denen wir wichtig sind. In denen
wir die Kontrolle haben. In denen wir bestimmen was passiert. In der wir im
Mittelpunkt stehen und unsere Existenz einen klar definierten Zweck hat.
Entziehe ich auch nur eines dieser Elemente dem Spieler und
er wird unsicher. Er beginnt Fragen zu stellen:
Was muss ich tun? Warum bin ich hier? Was soll das alles? Er
beginnt am Sinn seiner virtuellen Existenz zu zweifeln. Er fühlt sich
verwundbar, er fühlt sich an die Realität erinnert, denn er muss sich mit
Dingen auseinandersetzen, die er nicht direkt kontrollieren kann.
'Das ist kein Spiel!' ist seine Verteidigung für diese
Erlebnisse. Es ist sein Versuch wieder Kontrolle über das Unbekannte zu
gewinnen, indem er Regeln definiert und seine virtuelle Realität auf ein Maß an
kontrollierbaren und bekannten Parametern reduziert. Er beginnt ein virtuelles
Realitätsspiel.
Der Versuch Computerspiele in ein willkürliches Ordnungssystem
zu pressen und Regeln und Definitionen zu liefern, was denn nun ein 'Spiel' sei
und was nicht, ist selbst ein Spiel. Es wird eine Welt entworfen in der nur
bestimmte Objekte existieren dürfen und in denen nur diese Objekte relevant
sind. Doch ist es ein Spiel was, anders als in der Wissenschaft, uns nicht
dabei hilft in einer Welt zurecht zu kommen die sich uns unserem direkten
Verständnis entzieht. Es ist ein Spiel was unseren eigenen Verstand einengt und
was unsere eigene Kreativität behindert.
Es ist jedoch vor allen Dingen vollkommen sinnlos.
Denn so wie die Realität immer wieder uns vor Augen führt, dass es sich einen
Dreck um unsere definierten Regeln schert, so lässt sich auch unsere
Kreativität nicht einzäunen und definieren.
Wir haben mit Computerspielen die Möglichkeit, quasi
materielle Abbildungen von Welten zu entwerfen, die sonst nur in unseren Köpfen
existieren. Wir sollten diese Möglichkeiten nicht einschränken in dem wir
versuchen sie irgendwie zu ordnen.
Proteus ist ein Spiel. Thirty Flights of Loving ist ein
Spiel (auch wenn ich es nicht verstanden habe), Dear Esther ist ein Spiel. Die
Diskussion was ein Spiel ist ein Spiel, Wissenschaft ist auch ein Spiel. Es
wäre mal an der Zeit sie auch wie solche zu behandeln.