Dienstag, 8. Juli 2014

Eine Geschichte, zwei Tonarten

Ich schreibe in meiner Freizeit ziemlich viel. Am besten kann man die Texte wohl als Kurzgeschichten beschreiben, allerdings sind einige von ihnen wirklich sehr kurz. Ich mache das bereits seit geraumer Zeit, allerdings war das zunächst für mich selbst gedacht um einen Ausgleich zu meiner Magisterarbeit zu finden. Irgendwann habe ich jedoch festgestellt, dass mir das schreiben Spaß macht und das man manchmal sehr faszinierende Dinge über sich selbst lernen kann. Ich habe nun in den letzten zwei Monaten mehr versucht "ernsthaft" zu schreiben, mich also mehr darauf zu konzentrieren, längere in sich geschlossene Geschichten zu verfassen.
Ich möchte nicht alle Geschichten hier teilen, da ich vor habe die besseren Projekte in irgendeiner Form zusammenzufassen und zu veröffentlichen. Aber nicht jeder Text passt in das rein, was mir vorschwebt und da diese Texte ansonsten nur vor sich hingammeln würden, dachte ich mir, dass ich so genauso gut auch hier reinstellen könnte.

Der Text heute ist recht speziell, weil mir an ihm etwas aufgefallen ist. Ich habe ihn irgendwann im letzten Jahr, direkt nach dem Aufstehen geschrieben:



Ein x-beliebiges Lifestyle Café in einer x-beliebigen deutschen Großstadt. In der hintersten Ecke sitzen ein Mann und eine Frau. Sie unterhalten sich. Vermutlich über Dinge, über die sich Menschen in solchen Orten immer unterhalten. Die Arbeit, das Wetter oder Politik.

"Einbildungssache! Es ist alles Einbildungssache!" Rief der Mann mit einem Male laut aus.

"Einbildungssache? Meinst du nicht eher 'Einstellungssache'?" Die Frau war verwirrt.

"Nein." Er nahm einen Schluck aus seiner Kaffeetasse und lehnte sich zurück.
Sie hasste es, wenn er das tat. Jetzt demonstrierte er wieder, wie viel er doch von den tieferen Mechanismen der Welt verstand. Momente wie dieser gaben ihr immer ein Gefühl von Unvollkommenheit. Sie fühlte sich dumm.
Immer gelang es ihm ein Gespräch über die banalsten Dinge der Welt in die tiefsten philosophischen Abgründe abgleiten zu lassen. Nicht ein Mal konnte sie eine Geschichte von der Arbeit erzählen, ohne das er mit einem absonderlichen Konstrukt ankam, was all dies erklären könne.
"Jetzt erwartet er sicher, dass ich ihn frage was genau er damit meine. Damit er sich danach wieder intelligent fühlen kann. Ich bin es Leid vorgeführt zu werden. Wieso verschwende ich überhaupt meine Zeit mit ihm?"
Sie stand auf und ging.
Er blieb alleine zurück.



Wenn ich solche Texte schreibe, entscheide ich immer spontan, welches Geschlecht die Protagonisten haben. Ich versuche grundsätzlich möglichst wenig zu "denken", wenn ich schreibe, sondern einfach nur den Text fließen zu lassen.
Ich mag das Thema des Textes irgendwie: Eine Person, die immer versucht alles allgemeiner zu erklären, bringt mit ihrem Verhalten eine andere Person soweit, dass diese einfach geht. Das Thema stammt auch aus meinen eigenen Erfahrungen, bzw. Ängsten. Ich habe nämlich die Tendenz immer in allem irgendwelche höheren Konzepte zu sehen, was vermutlich manchmal etwas anstrengend ist beim zuhören.
Allerdings ist hier auch etwas anderes zu sehen, was man merkt, wenn man die Geschlechter der Protagonisten tauscht:

Ein x-beliebiges Lifestyle Café in einer x-beliebigen deutschen Großstadt. In der hintersten Ecke sitzen ein Mann und eine Frau. Sie unterhalten sich. Vermutlich über Dinge, über die sich Menschen in solchen Orten immer unterhalten. Die Arbeit, das Wetter oder Politik.

"Einbildungssache! Es ist alles Einbildungssache!" Rief die Frau mit einem Male laut aus.

"Einbildungssache? Meinst du nicht eher 'Einstellungssache'?" Der Mann war verwirrt.

"Nein." Sie nahm einen Schluck aus ihrer Kaffeetasse und lehnte sich zurück.
Er hasste es, wenn sie das tat. Jetzt demonstrierte sie wieder, wie viel sie doch von den tieferen Mechanismen der Welt verstand. Momente wie dieser gaben ihm immer ein Gefühl von Unvollkommenheit. Er fühlte sich dumm.
Immer gelang es ihr ein Gespräch über die banalsten Dinge der Welt in die tiefsten philosophischen Abgründe abgleiten zu lassen. Nicht ein Mal konnte er eine Geschichte von der Arbeit erzählen, ohne das sie mit einem absonderlichen Konstrukt ankam, was all dies erklären könne.
"Jetzt erwartet sie sicher, dass ich sie frage was genau sie damit meine. Damit sie sich danach wieder intelligent fühlen kann. Ich bin es Leid vorgeführt zu werden. Wieso verschwende ich überhaupt meine Zeit mit ihr?"
Er stand auf und ging.
Sie blieb alleine zurück.


Der Ton scheint sich vollkommen verändert zu haben, zumindest in meinen Augen. Eigentlich geht es in der Geschichte darum, wie eine Person irgendetwas Fundamentales verstanden zu haben scheint, die andere Person diese Freude jedoch als Angriff auf deren Intelligenz wahrnimmt, frustriert ist und geht.

Durch die Attribution von Geschlechtern zu den Protagonisten kommen jedoch auch unsere allgemeinen Bilder über diese Geschlechter in die Geschichte mit hinein.
In der ersten Geschichte demonstriert der Mann, dass er irgendetwas verstanden hat. Der Frau wiederum reicht es, permanent das Gefühl zu haben, als Vehikel zu dienen, an dem sich der werte Herr ob seiner großartigen Intelligenz erfreuen kann. Anscheinend hat er kein echtes Interesse an ihr als Person.

In der zweiten Geschichte wirkt es eher so, als dass der Mann frustriert sei, dass er sich in ihrer Gegenwart permanent dumm fühlt. Der Fokus scheint, zumindest in meinen Augen, eher auf der Ego-Verletzung des Mannes und weniger auf der Abgehobenheit der Frau zu liegen.

In beiden Fällen, wissen wir nicht, wie die Gespräche zwischen den Personen zuvor verlaufen sind. Vielleicht hat die Person die geht ja recht? Vielleicht übertreibt sie auch, weil sie sich ohnehin permanent dumm fühlt. Was zuvor geschah ist unserer Vorstellungskraft und damit auch unseren Vorannahmen und Projektionen überlassen. Ich denke, dass hier der Grund liegt, warum ich die gleiche Geschichte unterschiedlich bewerte. Es ist gut möglich, dass andere Leute, dies ganz anders bewerten. Vielleicht sehen sie ja auch gar keine Unterschiede.

Ich selbst habe nicht wirklich mehr zu der Sache zu sagen. Ich dachte nur, dass mal ganz faszinierend sei, diese Geschichte zu teilen. Wenn jemand andere Interpretationen und Erklärungen hat, wäre ich sehr froh sie zu hören.