Sonntag, 28. Oktober 2012

Gespielt: Hotline Miami


Das Spiel gibt sich nicht viel Mühe zu verstecken worum es eigentlich geht...

Als ich mir Hotline Miami gekauft habe, habe ich eigentlich nur gedacht, dass es vermutlich etwas unangenehm wird. Schließlich wurde es von einem gewissen Cactus mitentwickelt. Ich habe jedoch nicht erwartet, dass mich dieses Spiel so in seinen Bann ziehen würde.

Laut wummert die Musik aus dem schäbigen Nachtklub auf die Straße. Außer mir ist niemand zu sehen. Gut so, denn was gleich geschehen wird ist nicht für die Augen unbeteiligter Beobachter geeignet.





Eigentlich haben mir diese Tiermasken aus Kunststoff immer einen Schauder über den Rücken gejagt, aber wenn man sie selbst erstmal eine Weile getragen hat, ist es gar nicht mehr sehr schlimm. Ganz im Gegenteil, wenn ich die Maske trage fühle ich mich sicher, als könnte mich das, was ich gleich tun werde nicht mehr verletzen. Es fühlt sich beinahe so an, als sei ich eine andere Person, wenn ich die Maske aufziehe.
Heute habe ich beschlossen Tony zu sein. Wenn ich Tony bin, bin ich schnell und erbarmungslos. Niemand wird in der Lage sein mir Widerstand zu leisten.
Ich ziehe die Maske über, mein Atem fängt an sich zu beschleunigen, ich beginne auf den Eingang zuzulaufen. Erst langsam, dann immer schneller.
Als ich die Tür erreiche Atme ich kurz durch, ein letzter Moment der Ruhe vor dem Chaos.

Ich öffne die Tür.

Die erste Wache weiß gar nicht was passiert als meine Faust in ihr Gesicht knallt. Taumelnd stürzt sie zu Boden, ich hinterher. Ein weiter Schlag und sie liegt leblos vor mir... komisch ich habe mir das irgendwie schwerer vorgestellt.


Schnell nehme ich den Baseballschläger den die Wache so achtlos fallen ließ auf und Stürme in den nächsten Raum. Die Person hier kam nicht mal aus ihrem Stuhl hoch bevor der Knüppel niedersauste.
Mein Anzug ist schon jetzt mit Blut besudelt, aber das kümmert mich nicht. Einen Raum weiter und die nächste Leichte liegt vor mir. Von Mal zu Mal wird der Prozess leichter, es ist nicht mehr ich der diese Taten ausübt, ich bin lediglich ein stummer Beobachter dessen was um mich herum geschieht.

Ich hebe die Schusswaffe auf die der Leiche vor mir gehört habe. Ich weiß nicht mehr genau, ob es eine Schrotflinte oder ein Maschinengewehr war, ist aber letztendlich auch egal.
Zwei Schüsse durch die Glasscheibe und die Tanzfläche ist plötzlich leerer als zuvor.


Ich stehe alleine auf der Tanzfläche. Um mich herum ein Berg toter Menschen. Wer waren sie? Warum sind sie hier? Wieso tragen sie alle Waffen? Nichts davon ist von Belang. Alles was zählt ist der Rausch des Risikos, jede Aktion kann die letzte sein und der kleinste Fehler von meiner Seite und ich würde ebenso wie ein nasser Sack zu Boden gehen, wie diese Wachen hier.
Das Adrenalin kocht durch meinen Körper, die Welt um mich herum scheint immer schmaler zu werden. Mein ganzer Verstand ist zu einer einzigen, heißen Nadel zusammengezogen, bereit ohne zu zögern zu handeln.

Für einen kurzen Moment stehe auf der Tanzfläche, lasse das Adrenalin im Rhytmus der Musik pumpen. Was bislang passiert ist war nur der Auftakt für das was jetzt kommen sollte:


Ich bin Tony


Nichts wird mich stoppen


Die Welt verschwimmt in ein einziges wirres Gebilde, ich habe Schwierigkeiten mich an konkrete Ereignisse oder gar die Gesichter meiner Gegner zu erinnern.
Das einzige was mir in Erinnerung bleibt ist die Musik und das Gefühl absoluter Überlegenheit.


Ich war nicht aufzuhalten.


Nachdem ich mein Werk vollbracht hatte, und ich wieder vor dem Nachtclub stand, fiel mir plötzlich auf wie ruhig alles um mich herum ist. Nichts von dem was ich tat ist nach außen gedrungen, niemand hat mitbekommen was hier passiert ist, niemanden interessiert es wirklich was hier passiert ist.
Ich ziehe die Maske ab, steige in mein Auto und verlasse den Ort.

Am nächsten Tag wache ich irgendwann am späten Nachmittag in meinem Bett auf, wie ich dorthin gefunden habe weiß ich nicht mehr und mein Kopf fühlt sich an als würde er in einem Schraubstock hängen.
Doch es gibt keine Zeit sich zu erholen, der Anrufbeantworter blinkt bereits erneut.


Wenn ich pedantisch wäre, würde ich sagen, dass Hotline Miami eine etwas unpräzise Steuerung hat und manchmal etwas zu unberechenbar ist um tatsächlich fair zu sein. Und die Ereignisse in denen ich aus Frustration laut aufgeschrien habe nicht selten waren. Hinzu kommt noch, dass die Ästhethik (die Levels schwanken manchmal hin und her, wie bei einem betrunkenen) manchmal dazu geführt habe, dass mir übel wurde. Ich könnte erwähnen, dass das Spiel voller Bugs ist. Dass ich es nach 3-4 Stunden durchgespielt hatte, was gemessen an dem Preis von knapp 10$, relativ kurz ist. Dass es manchmal so brutal und blutig ist, dass ich mich unwohl gefühlt habe.

Aber dies wäre dumme Linsenpiddlerei. Hotline Miami ist das Meisterwerk eines irren Verstandes. Es ist schnell, schmutzig, laut und ist so voller Adrenalin, dass es sich kaum noch auf den eigenen Füßen halten kann.
Ein Blick auf meine Geschichte und die Screenshots könnte suggerieren, dass Hotline Miami ein plumper Shooter wäre, doch das ist weit gefehlt.
Klar es ist unfassbar brutal und man muss in jedem Level alles töten was sich bewegt, ohne Ausnahme. Da man aber ebenso schnell stirbt wie die Gegner, kann man nicht einfach blind in die Räume rennen. Man muss planen, beobachten, sich eine Strategie zurechtlegen und diese dann ausführen.
Hotline Miami ist kein Spiel für Menschen, die keine Entscheidungen treffen können. Der Unterschied zwischen Sieg und Niederlage kann manchmal den Bruchteil einer Sekunde ausmachen, warte zu lange und die Gelegenheit ist weg, gehe zu früh zum Angriff über und du endest selbst in einer Lache aus Pixelblut auf dem Boden. Es ist ein konstanter Wechsel zwischen kalter, emotionsloser Planung und einem wilden Adrenalinrausch, während man seinen Plan in die Tat umsetzt.
Unterstützt wird das ganze Erlebenis, durch einen der besten Videospiel-Soundtracks der letzten Jahre. Jedes Stück passt perfekt in die Atmosphäre des Spiels und während man wie im Rausch durch die Levels stürmt, brenn sich einem jedes einzelne Stück ins Hirn.
Die exzessive Gewalt ist lediglich das Endprodukt dieser Planung und durch diese Tatsache kommt Hotline Miami dem Begriff ‚Mördersimulator‘ so nahe wie kaum ein anderes Spiel, vielleicht mit Ausnahme von der Hitman-Reihe. Doch wo es in Hitman eher um chirurgische Präzision und subtile Aktionen geht (zumindest, wenn man die Spiele ernsthaft spielen will), ist Hotline Miami ein kühl geplanter Amoklauf.
Und trotz der enorm glorifizierten Gewalt ist sich Hotline Miami, vermutlich mehr als viele andere Computerspiele, darüber bewusst was es ist und es gibt sich keine Mühe, dem Spieler zu verschleiern, was genau er dort eigentlich tut. Und das Beste ist: In seiner Botschaft ist Hotline Miami herrlich unprätentios. Es weiß genau, was es ist und tut nicht so, mehr auszusagen als es kann und gerade deshalb funktioniert es so wunderbar.

Hotline Miami ist ein Kunstwerk und das meine ich jetzt nicht im Sinne davon, dass es irgendeine Form von wichtiger Botschaft enthalten würde, nein das hat es nicht (obwohl das Ende trotzdem sehr unerwartet war).
Hotline Miami ist ein Kunstwerk, weil es einfach existiert. Für Hotline Miami gibt es keine wirkliche Genre Definition (von ‚Actionspiel‘ vielleicht abgesehen), es gibt keine allgemein bekannte Designformel nach der es aufgebaut ist. Es ist wie es ist, weil seine Entwickler es so wollten.
Es ist ein Kunstwerk, weil mich allein der Gedanke an das Spiel unruhig und nervös macht.
Es ist ein Kunstwerk, weil jedes einzelne Element in dem Spiel miteinander verzahnt ist. Von der schmutzigen Ästhetik, über den knochenharten Schwierigkeitsgrad bis zum Soundtrack.
Hotline Miami ist ein Kunstwerk, weil es einzigartig ist.

Hotline Miami steht für das, was die Indie-Szene im Kern eigentlich sein sollte. Wilde, ungezügelte Kreativität ohne Rücksicht auf Konventionen, Regeln und kommerzielle Aspekte. Es zeigt, dass es noch immer Spiele geben kann, die neu sind. Dass noch nicht alles entdeckt wurde.
Es der Beleg dafür, dass man keine gewaltigen Studios mit riesigen Budgets braucht um wirkliche tiefer gehende Erfahrungen zu schaffen. Dass es nicht nötig ist, große Entwicklerteams zu beschäftigen und jedes Element bis zum Erbrechen durch Marktforschungs-Instrumente zu jagen. Dass man nicht einmal wirklich progammieren muss, um ein solches Spiel zu machen. Hotline Miami ist ein Gamemaker-Spiel. Ein Programm von dem immer herablassend behauptet wird, es würde nur billige 2D-Plattformer hervorbringen und das es eigentlich nur etwas für dumme Anfänger wäre.
Es zeigt, dass Computerspiele ein echtes, kreatives Medium sind, die in der Lage sind Menschen viel direkter emotionale Zustände erleben lassen kann, als es Bücher und Filme jemals tun könnten.
Und alles was es dafür braucht, sind zwei Menschen, die sich einen Dreck um das scheren was andere tun, sondern die sich einfach nur auf ihre eigenen Ideen verlassen.

Spielt Hotline Miami. Ihr werdet, schreien, schwitzen und zittern. Euch wird übel werden aber gleichzeitig werdet ihr von diesem Spiel nicht loskommen.
Spielt Hotline Miami, weil es kein zweites Spiel dieser Art gibt.

Spielt Hotline Miami.